Ich lese diesen einen Satz und zerbreche innerlich. Es ist ein Schmerz, der meinen ganzen Körper zu erfüllen scheint. Ein tiefer Stich ins Herz. Ein Schlag mitten ins Gesicht. Ein so starker Druck auf meine Brust, dass mir der Atem kurz ausbleibt. Bitte jetzt nicht weinen. Noch nicht. Gleich bin ich zu Hause, sage ich mir, denn die Tränen stehen wie so oft in diesen letzten Wochen sofort bereit, um über meine Wangen zu gleiten.
Es ist normal geworden. Es ist normal geworden, unglücklich zu sein. Ein sanftes Lächeln wäre die große Besonderheit.
Ich lese den Satz noch einmal, um ganz sicher zu gehen, dass ich ihn richtig gelesen habe. Und noch einmal trifft mich dieser tiefe Stich, der Schlag und dann wieder der Atemaussetzer. „Das war so klar“, schießt es durch meinen Kopf. Und ich kämpfe weiter gegen die Tränen, die sich bereits in meinen Augen sammeln und meine Sicht trüben. Ich versuche es wirklich mit ganzer Kraft. Doch schließlich laufen sie mir doch über die Wangen. Ganz langsam, als würden sie beinahe gefrieren. Gefrieren, wie mein Herz in diesem Moment.
Womit verdiene ich das? Womit verdammt nochmal verdiene ich das? Und wann hört es endlich auf?
Ich gebe mir selbst die Schuld.
Wieso habe ich es denn auch bloß geglaubt? Wieso habe ich mich darauf gefreut? Es ist doch nicht das erste Mal, dass dies passiert. Ich hatte mich doch diszipliniert und mir eingeredet, dass ich mich erst freuen dürfe, wenn der Augenblick dann wirklich da ist. Doch dies ist mir in keinster Weise gelungen. Ich bin schlecht. Ich bin schwach. Ich bin am Ende.
Ein Tag, der alles verändern könnte. Ein Tag, der Gewissheit bringt. Ein Tag, der zusammenbringt, was zusammen gehört. Ein Tag, der alle Dunkelheit der letzten Wochen endlich vertreibt.
Ein Tag mit dir.
Diese Seifenblase, die bis in an den Rand Hoffnung in sich trägt, zerplatzt mit diesem einen Satz:
„Das heißt aber auch, dass ich nicht nach Hause komme….“
Und ich habe das Gefühl, mein Herz bricht ein erneutes Mal. Ich kann inzwischen nicht mehr mitzählen, wie oft das in den letzten Wochen geschehen ist. Eine weitere Sache, die normal geworden ist. Und man kann damit weiterleben. Wie ist eine andere Frage. Es geht. Irgendwie.
Plötzlich unterbricht ein Begriff meine Gedanken: Priorität.
Und in diesem Moment verstehe ich, was es wirklich bedeutet, wenn die Wahrheit weh tut.
Prioritäten setzen wir jeden Tag. Tausendfach. Viele davon sind unbedeutend, doch alle haben eines gemeinsam: Sie sorgen dafür, wie wir unseren Tag gestalten. Sie geben Auskunft darüber, wie wir unseren Tag gestalten wollen.
Und genau dort ist der entscheidende Punkt: Wie wir es wollen. Wir haben es in der Hand, denn wir setzen unsere eigenen Prioritäten.
Die schmerzliche Erkenntnis daran ist nun, dass ich nicht deine Priorität bin.
Hättest du nach Hause kommen müssen, weil der notwendige Termin nur hier möglich gewesen wäre, wäre ich ganz nett gewesen. Ein netter Zeitvertreib. Eine nette Lücke für die Leere alleine in einem Haus. Eine nette Option.
Doch mehr bin ich eben nicht.
Ich bin womöglich eine Person, die man mag, mit der man viel Spaß haben kann, die „cool drauf ist“ und dazu auch noch ganz gut aussieht.
Doch mehr bin ich eben nicht.
Die Wahl einer bestimmten Priorität hat nichts mit Zwang zu tun. Es gibt kein müssen oder können. Es gibt kein „Das geht nicht.“. Denn jede zur Wahl stehende Priorität trägt viele Möglichkeiten in sich, die man auch sieht, wenn man eben diese Priorität wählen möchte.
Wenn man aber einen anderen Weg lieber gehen möchte, sind diese Möglichkeiten wie von tiefem Nebel umhüllt. Sie werden verdrängt von den Möglichkeiten, die die Priorität, die man wählen möchte mit sich bringt.
Dieses „das heißt aber auch“ soll ausdrücken, dass dies nur die logische und einzige Konsequenz ist und es nicht anders geht. Doch es gibt immer Mittel und Wege. Es geht immer, wenn man es möchte. Wenn man die eine Priorität wählt, sind diese Möglichkeiten auch sichtbar und der Wille ist da. Doch ich bin nicht deine Priorität. Und dann fällt es auch gar nicht schwer, zu schreiben:
„Das heißt aber auch, dass ich nicht nach Hause komme….“
Mehr ist dann auch nicht mehr nötig. Kein „leider“. Kein „Es tut mir leid.“. Nur diese vier Punkte über deren Bedeutung nun stundenlang wild philosophiert werden wird. Mit dem Ergebnis, dass ich nur noch verwirrter und deprimierter bin.
Das besonders Schmerzhafte ist, dass ich alles tun würde, nur um bei dir zu sein. Ich würde mich jetzt sofort ins Auto setzen und stundenlang fahren. Ich würde jeden Zug ganz gleich in welche Richtung nehmen. Ich würde bis morgens wach bleiben oder nachts aufstehen, nur um bei dir zu sein. Ich würde auf dem Boden oder im Auto oder gar nicht schlafen. Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, nur um bei dir zu sein. Denn meine Priorität bist du.
Ich fühle mich so dumm. Einige Minuten zuvor füllten noch andere Gedanken meinen Kopf:
Was soll ich bloß anziehen? Soll ich mir heute oder morgen die Haare waschen? Wie soll ich mich verhalten? Wie wird es wohl werden? Vorfreude. Und der Versuch, diese zu unterdrücken. Nichts erwarten! Bloß nichts erwarten, sonst könnte ich doch wieder enttäuscht werden.
Und genau so kommt es dann auch. Mit einem Satz. Ein kurzer Satz, der einen unerträglichen Schmerz auslöst. Ein Satz, der die getrübte Gefühlslage noch einmal weiter in die Tiefe reißt. Ein Satz, der so viel sagt. Und doch gar nichts.
Und trotzdem denke ich pausenlos an dich. Und trotzdem gibt es noch immer so viele weitere Seifenblasen, die bis zum Rand mit tiefer Hoffnung gefüllt sind. Und trotzdem würde ich alles für dich tun. Denn meine Priorität bist du.
Mantel – Zara (Ähnlicher hier)
Schal – unbekannt (Ähnlicher hier)
Fotos – Fotografie Heuser