Lob und Tadel der Ambition

„10…9…8…7…6…“ der Timer meiner Lauf-App läuft hinunter und ich atme noch einmal tief durch…“5…4…3″… „Das wird ein guter Lauf. Ich schaffe das.“, sage ich mir. „2…1…activity started!“… Ich blicke in die Ferne und laufe entschlossen los.


Nach einer längeren Pause stehe ich nun wieder hier. In meinen Laufschuhen und voller Motivation. Doch da ist auch noch ein sehr starkes anderes Gefühl. Ist es Aufregung oder sogar etwas Angst? Ich laufe nicht unbeschwert los, sondern bin angespannt. Ich mache mir viele Gedanken darüber, wie dieser erste Lauf wohl nun werden wird. Ich möchte am liebsten meine vorherige Leistung erreichen oder sogar überbieten. Ich möchte die Schnellste und Beste sein und laufe daher besonders schnell los. Ich fühle mich stark und voller Energie. Ich bin stolz losgelaufen zu sein und motiviert, einen hervorragenden Lauf zu absolvieren. So weit so gut. Doch ich fühle mich nicht unbeschwert. Die Leichtigkeit fehlt. Ich bin nicht locker, sondern angespannt und verkrampft. Und bereits nach den ersten beiden Kilometern in Sprinttempo merke ich, dass diese Vorgehensweise für den Rest des Laufes nicht aufgehen wird. Ich bin erschöpft und müsste meine Geschwindigkeit reduzieren. Ich weiß das, doch mein Kopf schreit: „Mach weiter. Du willst doch die Beste sein und besonders schnell laufen.“ Meine Kondition und meine Muskeln beschweren sich jedoch und sehnen sich nach Entlastung. Was jetzt? Meinen Plan aufgeben und eine schlechtere Leistung erbringen, als ich eigentlich möchte? Eine schreckliche Vorstellung. Nein, ich mache weiter. Ich bin doch eine Kämpferin und gebe nicht auf. Und so quäle ich mich durch die endlos erscheinende Laufrunde und komme völlig erschöpft zu Hause an. Ich habe es zwar irgendwie doch noch hinter mich bekommen, jedoch war es die reinste Qual. Ohne Freude oder Entspannung, die ich sonst immer beim Laufen empfinde. Und wegen dieses negativen Gefühls werden die Laufschuhe für die kommende Woche wohl wieder im Schrank liegen bleiben.

Dieser Situation begegne ich in meinem Leben sehr oft. Ich bin motiviert und stecke voller Ambition, die folgende Aufgabe möglichst schnell und dabei auch noch perfekt zu erledigen. Sinnlos Zeit verschwenden oder Fehler machen ist nicht drin. Und aufgeben schon mal gar nicht. Eigentlich doch eine gute Arbeitseinstellung könnte man meinen. Und da stimme ich in Teilen auch auf jeden Fall zu. Ich bin sehr zielstrebig und gewissenhaft, was mich schon in vielen Situation nach vorne gebracht hat und worauf ich ehrlich gesagt auch stolz bin. Insofern möchte ich meiner Ambition also ein Lob aussprechen. 

Doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Denn diese Ambition kann einen auch sehr blockieren und im Weg stehen. Man ist so verkrampft darauf, eine Aufgabe schnell und ausgezeichnet zu erledigen, dass man den Spaß daran verliert oder durch diese Anspannung tatsächlich Kopfschmerzen bekommt. Anstatt den Lauf dazu zu nutzen, um vom Alltag abzuschalten und zu entspannen, komme ich viel schlechter gestimmt zurück, bekomme nachfolgend eine Nackenverspannung und verliere die Lust dazu, auch die nächste Zeit wieder laufen zu gehen. Ich genieße nicht die Natur um mich herum oder bin dankbar dafür, dass ich überhaupt laufen kann. Ich bin nicht froh, dass ich etwas für meine Gesundheit tue, egal in welchem Tempo. Nein. Ich konzentriere mich allein auf die negativen Dinge, die mir währenddessen durch den Kopf gehen: „Ich bin zu langsam! Wieso komme ich heute so schnell aus der Puste? Ich hätte doch die anderen Schuhe nehmen sollen. Jetzt gibt es auch noch Gegenwind!“ Ich überschütte mich mit Selbstkritik und jammere über die Wetterverhältnisse. Entspannt und dankbar sieht anders aus. Und das Schlimmste ist: Wenn ich mich dann trotzdem irgendwie durchgequält habe, kann ich meinen Erfolg nicht einmal richtig schätzen, weil mir wieder hunderte Dinge einfallen, die ich besser hätte machen können. Insofern möchte ich meiner Ambition also einen Tadel aussprechen. 

Doch ich würde mir nun selbst widersprechen, wenn ich nicht auch versuchen würde, für dieses Problem eine gute Lösung zu finden. Die sieht im Moment so aus: Ich versuche, so gut es geht die negativen Gedanken auszublenden und in allem etwas Gutes zu sehen oder mich so einzustellen, dass es gut so ist, wie ich es gerade tue und man sich zukünftig weiter steigern kann. Dass man nicht immer die Schnellste und Beste in allem sein muss. Dass Fehler legitim und sogar wertvoll sind, weil man aus ihnen lernen kann. Ich versuche, mich nicht zu verkrampfen, sondern die Umgebung wahrzunehmen und für das Hier und Jetzt dankbar zu sein.

So ein Lauf kann symbolisch sehr gut für das Leben stehen. Denn auch dort gibt es Gegenwind und Herausforderungen. Es ist gut, hohe Ambitionen an sich selbst zu stellen und die Aufgaben gründlich und schnell zu erledigen. Doch es ist und bleibt am wichtigsten, dass man den Spaß an diesem großen Lauf „Leben“ behält und den Problemen mit einer gewissen Leichtigkeit und einem Lächeln begegnet.

Fotos: Fotografie Heuser

2 Antworten auf „Lob und Tadel der Ambition“

  1. Guten Tag!
    Ich finde mich in diesem Text wieder, allerdings in vielen anderen Situationen. Warum muss ich immer die Schnellste oder Beste sein? Warum habe ich immer so hohe Ansprűche an mich selber? Je mehr ich mich unter Druck setze, desto mehr verkrampfe ich mich. Warum ist das so? Wir können unseren Kopf gar nicht ausschalten. Irgendwie geht die Leichtigkeit verloren. Das ist echt schade. Das Leben hat so viele schöne Seiten, die sollten wir auch genießen.

    1. Hallo liebe Bettina,
      da stimme ich dir zu. Ich finde es auch sehr schade. Und genau deswegen finde ich, dass wir uns genau darüber bewusst werden sollten und dann gezielt etwas daran ändern können. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung, sagt man ja auch..

      Liebe Grüße
      Isabel

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